Interview mit Massimo Bernardoni

Interview mit Kellerkino-Mitbegründer und -leiter Massimo Bernardoni

Herr Bernardoni, das Kellerkino existiert seit 1975 und präsentiert sein Programm unter dem Motto „Andere Filme anders zeigen“.
Was bedeutet das?

Wir orientieren uns nicht am gängigen Programm. Wir verstehen uns aber auch nicht als Konkurrenz zu den so genannten kommerziellen Kinos, sondern wir versuchen, aus der umfangreichen Filmgeschichte bestimmte Momente aufzugreifen, die wir in einen allgemeinen Diskurs einbetten. Wir veranstalten Filmreihen – sie können thematisch bezogen sein oder es sind Porträts von Regisseuren oder Filme aus einem bestimmten Land. Dazu finden Einführungen statt und wir bieten ein Filmgespräch am Ende der zweiten Vorstellung an.

Im Kino sind ausführliche Informationsblätter ausgelegt und vor dem Film zeigen wir keine Werbung. Außerdem ist die Stimmung natürlich anders. Im Lauf der Zeit hat sich eine Gemeinschaft Gleichgesinnter gebildet. Man kennt sich, man unterhält sich, sei es über Filme oder auch über ganz banale Alltagsgeschichten. Es hat eine völlig andere Atmosphäre als in den kommerziellen Kinos.

Bei der Auswahl der Filme steht bei uns die Qualität absolut im Vordergrund. Für mich und vielleicht noch für ein paar Teammitglieder würde ich das Programm noch viel radikaler gestalten, ist klar – viel cineastischer. Aber das kann man sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht leisten. Wir sind Teil der Volkshochschule, wir sind ein Zuschussunternehmen und versuchen, unser jährlich produziertes Defizit in Grenzen zu halten.

Wieso heißt das Kellerkino Kellerkino, obwohl es in einem ganz normalen Kino stattfindet?

Am Anfang war das Kino in einem Keller. Ich habe es 1975 mit dem späteren Geschäftsführer der Volkshochschule, Hartwig Kemmerer, zusammen gegründet. Wir haben es in der Nordstadt im Keller der Robert Bosch Gesamtschule initiiert mit der Hoffnung, die Nordstädter, die kulturell unterversorgt waren, ins Kino zu locken. Diese Hoffnung hat sich dann leider zerschlagen. Es kamen eher Lehrer, einige Studenten, damals vor allem der Sozialpädagogik.

Und wieso wollten Sie damals gerade ein Kino gründen?

Das liegt wohl an meiner Leidenschaft. Seit meinem 17. Lebensjahr beschäftige ich mich intensiv mit dem Medium Film, sowohl auf der theoretischen Ebene als auch praktisch. Damals lebte ich in Rom – ich habe bis zum 20. Lebensjahr in Italien gelebt. Nach der ersten Jugendphase, in der man sozusagen alles angeguckt hat, fing ich an, ein anderes Kino zu suchen und zu entdecken, eines, das mich bis heute fasziniert. Die Filme, die ich mir im Kino anschaue, bereichern mein Innenleben, meine ästhetischen Bedürfnisse und bringen mich zum Nachdenken. Etwas von diesem Kino auch in Hildesheim zu etablieren, das war mein Wunsch und mein Ziel – und ist es immer noch.

Äußerlich hat sich einiges verändert: Das Kino ist vom Keller in das alte Domizil der VHS, später dann in die Thega und zwischenzeitlich ins Cinema gezogen. Was sind die schleichenden Veränderungen, die man nur wahrnehmen kann, wenn man immer dabei war?

Kino und Kinomachen reflektieren naturgemäß ein gesellschaftliches Klima. Wir haben damals im Verhältnis wahrscheinlich mehr politische Filme gezeigt; es war das Jahr 1975 und da gab es noch, mehr als heute, sowohl in einigen europäischen Metropolen bzw. Ländern als auch in Lateinamerika usw. große politische Konflikte – die sich natürlich auch auf der Leinwand widerspiegelten. Als diese Zeit und mit ihr die Konflikte nicht mehr so dominant waren, haben wir größeren Wert gelegt auf die Ästhetik, auf neue Filmformen, neue Filmsprachen und -stile, die wir zwar von Anfang an berücksichtigt haben, aber die wir dann noch stärker fokussierten.

Auch das Publikum ist heute anders. Heute sprechen wir mit unserem Angebot potenziell zwischen 4.000 bis 5.000 Menschen an. Das heißt nicht, dass diese Menschen immer regelmäßig ins Kellerkino kommen. Es gibt manche, die einmal im Jahr oder einmal jedes zweite Jahr kommen, aber die Publikumsstruktur hat sich wesentlich verändert. Gott sei Dank. Das Publikum heute ist, etwas grob bezeichnet, ein „normales Publikum“.

Gibt es bei einer Institution wie dem Kellerkino Altersbeschwerden, wundert es sich über die viel zu schnell vorbeigegangene Zeit oder hat es vielleicht jetzt erst eine gewisse Reife erreicht?

Sicherlich hat es jetzt eine gewisse Reife erreicht, seit einigen Jahren arbeiten wir sehr professionell. Das Team besteht vorwiegend aus Studenten der Kulturwissenschaften; und naturgemäß gibt es am Ende deren Studium einen Knick. Einige, die sehr professionell und engagiert arbeiten, hören auf, es kommen neue, mit neuen Ideen, was natürlich sehr schön und bereichernd ist. Andererseits kommt da bei mir, der ich dieses Unternehmen mit Begeisterung von Anfang an leite, immer eine Art Trauer auf, wenn gute Leute wegziehen.

Den so genannten Autorenfilmern wurde im Kellerkino sicherlich bisher allen eine Reihe gewidmet: Pasolini, Godard, Lars von Trier. Was war Ihre bisher liebste Reihe?

Meine Interessen sind vielfältig. Natürlich habe ich wie jeder Mensch meine Favoriten. Was mich nach wie vor filmisch und inhaltlich sehr beschäftigt, ist das Werk von Robert Bresson und auch das von Rossellini. Das iranische Kino ist, finde ich, zurzeit eine der besten Kinematographien der Welt.

Nicht zu vergessen das Kino aus Fernost, Hongkong, Südkorea oder Taiwan, … und Japan natürlich. Es faszinieren mich auch einige der US-amerikanischen Filme, also nicht die Großproduktionen, sondern die so genannten Independent-Filme. Oder Filme, die experimentellen Charakter haben… Es ist schwer, sich nur auf einen Namen oder ein Thema zu beschränken…

Und was waren die Sternstunden des Kellerkinos?

Es gibt immer wieder Trends in der Kinogeschichte, auch auf der Ebene der Rezeption. Mit unserem Angebot treffen wir manchmal gerade den Zeitgeist. Manchmal aber sind wir, was das hiesige Publikum betrifft, ein bisschen zu früh: Bevor man von Peter Greenaway sprach, hatten wir schon zwei Filme von ihm im Programm, die relativ schlecht besucht waren. Irgendwann, zwei Jahre später etwa, machten wir trotzdem eine Greenaway-Reihe: Da war er gerade zufällige in und das Kino gerammelt voll.

Schöne Momente gab es auch immer dann, wenn wir Regisseure zu einer Vorführung ihres Films und zu einem anschließenden Gespräch eingeladen haben. Das war oft sehr anregend. Wir hatten immerhin auch Regisseure da, die heute in der Filmgeschichte nicht wegzudenken sind, wie Ulrike Ottinger beispielsweise.

Was gibt Ihnen das Kellerkino zurück für all die Mühen?

Es gab einige Schlüsselerlebnisse. Ich fühlte unsere Arbeit immer dann bestätigt, wenn ein regelmäßiger Kellerkinobesucher nach fünf oder sechs Jahren kurz zu mir kam, um sich von mir zu verabschieden und sich mit den Worten bedankte: „Ich danke dir bzw. euch – durch den Besuch des Kellerkinos habe ich gelernt, Filme anders zu sehen.“ Ein tolles Gefühl, wenn man so etwas hört, denn genau das ist mitunter unser Ziel: Eingeschliffene Wahrnehmungen ein wenig in Frage zu stellen und womöglich – im positiven Sinne – ein bisschen zu beeinflussen.

Das Gespräch führte Ariane Arndt